Shades Tours – Soziale Stadtführungen zeigen die Stadt aus der Sicht eines Obdachlosen
Wien ist die Touristenmetropole schlechthin in Österreich. Gerade im Ersten Bezirk reihen sich die Fiaker aneinander und die Touristengruppen rennen in Scharen von der Hofburg zum Stephansdom. Da will man die dunkle Seite gar nicht sehen – rund 10000 Menschen sind derzeit in Wien obdachlos – auch mitten im reichsten Bezirk der Stadt.
Einen Perspektivwechsel der besonderen Art bieten da die Stadtführungen der Shades Tours an. Das Konzept ist ganz einfach – bei diesen Touren stehen nicht historische oder kunsthistorische Aspekte im Fokus. Geleitet werden die Touren von Menschen, die entweder selbst mal obdachlos waren oder es noch sind.
Und so treffen wir direkt am Heldenplatz auf Robert. Und gleich habe ich ein Klischee im Kopf – „Irgendwie sieht der gar nicht so aus…“. Allerdings, so Robert, entsprechen nur etwa 8% der Obdachlosen diesem klassischen Klischee des verwahrlosten Sandlers. Diesen ersten Eindruck, den sei er schon gewohnt. Und als er beginnt, zu erzählen, ist die kleine Gruppe sofort wie gebannt. Zu Beginn hört man zunächst viel über das Wiener Sozialsystem – etwas darüber, was man erfüllen muss, um eine Bedarfsberechtigung zu erhalten. Oder man erfährt von der Kampierverordnung, die besagt, dass man als Obdachloser zwar auf einer Bank schlafen, sich diese aber nicht bequemer machen darf (etwa durch einen Schlafsack).
Weiter geht es zu erstaunlichen Stationen, die viel auch von der Geschichte der Obdachlosen in Wien zu erzählen haben. Es geht etwa zur Staatsoper, die bis zur Einführung des Winterpakets für Obdachlose gerade im Winter zahlreiche Notquartiere zur Verfügung stellte und bis heute in der Obdachlosenhilfe sehr aktiv sind. Hier hört man auch, dass im Sommer in rund 400 Betten in Notquartieren nur ein Bruchteil der 10000 Obdachlosen Platz finden.
Sehr emotional wird es, als Robert von seiner eigenen Geschichte erzählt, mit der man auch erfährt, wie schnell man in die Obdachlosigkeit rutschen kann und wie schwierig es ist, trotz Hochschulbildung wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen und welche große Rolle Shades Tours dabei gespielt hat.
Er kann auch viele individuelle Geschichten erzählen von Menschen, die ihm in seiner Zeit auf der Straße begegnet sind. Und diese Dinge beweisen, wie unterschiedlich die Gründe sind, in die Obdachlosigkeit zu rutschen.
Eine kleine Exkursion in die Geschichte der Armut geht zur fast legendären Bier-Kneipe „Bettelstudent“, deren Name dem Mittelalter entstammt. Sogenannte Pauper-Studenten bekamen hier eine kostenlose Mahlzeit und konnten in einem Wohnheim hinter dem Stephansdom kostenlos wohnen.
Weiter geht es zur Franziskanerkirche, wo sich eine der ältesten Jausenausgaben der Stadt befindet, wo Bedürftige ein kostenloses Frühstück bekommen.
Nächste Station ist ein kleiner Hof, der als Umschlagplatz für Drogen in Wien gilt. Hier erfährt man viel über die Suchtthematik und darüber, was die Obdachlosigkeit mit der Psyche anstellt – der Verlust des klassischen Alltags und die Perspektivlosigkeit treibt viele Obdachlose in die Sucht.
Endpunkt ist schließlich die Jesuitenkirche, der gegenüber das Café-Restaurant Inigo liegt. Dieses Restaurant wird von der Caritas betrieben und will Langzeitarbeitslosen einen begleiteten Wiedereinstieg ins Berufsleben bieten.
Ich habe nun schon unendlich viele Stadtführungen mitgemacht, Gewöhnliche und Außergewöhnliche – und ich glaubte eigentlich, die Innere Stadt schon auswendig zu kennen. Die Shades Tours lenken den Blick aber auf ganz andere Dinge und liefern einen Blick hinter die „schöne Fassade“, den ich jedem nur empfehlen kann.
Info Shades Tours
Homepage
Ticketbuchung: https://holvi.com/shop/shadestours/section/unsere-touren-all-tours/
Eine Tour dauert normalerweise 2 bis 2,5 Stunden, wobei man sich ausschließlich zu Fuss bewegt. Die Stationen sind je nach Guide unterschiedlich.
Der Ticketpreis beträgt 15€.
PS: Einnahmen aus diesem Artikel werden an die Gruft weitergeleitet – sie werden (mindestens) ein Winterpaket finanzieren!
Wurde das mal bei „2 Minuten 2 Millionen“ vorgestellt?
Ja, genau!
Ah ok, kam mir so bekannt vor ? Toller Bericht! ?
Das ist wirklich mal eine ganz andere Perspektive und ich finde das Projekt sehr gut! Mich würde interessieren, ob die Führung gut besucht war und ob auch Touristen teilnehmen oder fast nur Einheimische?
Wir hatten eine Sondertour mit den Instagramern von Wien. Aber was man aus den Gesprächen rausgehört hat, ist die Nachfrage extrem gut und weiter steigend. LG Anke
Danke für diesen Einblick in eine ganz andere Welt. Was es nicht alles gibt.
LG Daniela
Hallo,
danke für diese neue Perspektive auf Wien. Ich werde mich bei meinen zukünftigen Städtereisen nach solchen sozialen Stadtführungen umsehen.
Viele Grüße
Diana
Na das ist wirklich mal eine andere Stadttour!
Ich finde es super, auch mal hinter die schöne Fassade zu schauen und sich auf einen derartigen Perspektivenwechsel einzulassen. Ich bin positiv überrascht, dass diese Touren anscheinend auch gut gebucht werden. Tolle Aktion!
Liebe Grüße,
Jessi
Sehr coole Perspektive und ein sehr interessantes Projekt an dem ich auch sofort teilnehmen würde.
Lg.
Ralf
Hallo Anke,
vielen Dank für die Einblicke in diese ungewöhnliche Stadtführung. Aber ich stelle es mir spannend vor, auch Eindrücke von Städten aus dieser Perspektive zu erhalten. Mal schauen, in welchen Städten das noch angeboten wird.
Sonnige Grüße,
Nicolo