Zwentendorf – Zu Besuch im sichersten Atomkraftwerk der Welt

In Österreich gibt es besondere Orte, deren Geschichte einen ein bisschen zum Schmunzeln bringt. So baute man in den 70er Jahren ein Kernkraftwerk fertig. Doch als man 1978 die Bevölkerung fragte, ob es in Betrieb gehen darf, stimmte man mit 50,5% dagegen – bis heute bleibt Österreich ohne eigenes AKW. Ein Abriss oder ein Umbau waren zu teuer und so existiert es bis heute am Ufer der Donau – das wohl sicherste Kernkraftwerk der Welt.

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Im Reaktordruckbehälter

AKW Zwentendorf

Ich bin ein Kind der frühen 80er Jahre – ich muss zugeben, der Unfall von Tschernobyl gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen. Ich war 2 1/2 Jahre alt und weiß noch genau, wie besorgt meine Mutter plötzlich war, weil ich am 1. Mai (als noch keiner was wusste) im Sandkasten gespielt habe. In späteren Jahren habe ich mich vermutlich aufgrund dessen mehr mit dem Unfall von damals auseinandergesetzt und war entsprechend gleich begeistert, als ich erfahren habe, dass man das wohl einzige Strahlungsfreie Atomkraftwerk nur wenige Kilometer außerhalb von Wien besuchen kann.

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110 m hoch – Der Schornstein

Zwentendorf – Geschichte eines Atomkraftwerks

Nachdem 1968 unter der Regierung Klaus II der Einstieg ins Nuklearzeitalter beschlossen wurde, begann man am 4. April 1972 mit dem Bau direkt am Ufer der Donau. Geplant wurde ein Siedewasserreaktor mit einer Leistung von 692 Megawatt zum Preis von 1,6 Milliarden Euro (nach heutiger Kaufkraft) – der Bau von zwei weiteren Reaktoren war bereits in Planung.

Der Bau mit dem 110 m hohen Schornstein wurde 1976 vollendet mit der zugehörigen Infrastruktur und der Probebetrieb wurde gestartet. Verantwortlich für den Bau war die Deutsche Siemens AG – doch 70% der Teile wurden von Österreichischen Unternehmen hergestellt.

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Eine der drei geplanten Niederdruckturbinen zur Stromerzeugung

Nach Protesten wollte man den Vollbetrieb an eine Volksabstimmung binden. Mit einer Zustimmung von 60% nach Analysen war sich die Regierung unter Bruno Kreisky eigentlich Siegesgewiss – sogar so sehr dass Kreisky abdanken wollte, stimme man gegen das Kraftwerk. Doch die Abstimmung am 5. November 1978 ging mit 50,5% verloren.

Man betrieb das Kraftwerk noch einige Jahre weiter – wobei alleine dieser Probebetrieb 600 Millionen Schilling verschlang. Ein Umbau zu einem Kohlekraftwerk wurde erwogen – doch ein Neubau war günstiger, so dass nur 3 Kilometer entfernt ein neues Kohlekraftwerk entstand.

Heute werden in Zwentendorf Schulungen abgehalten. Außerdem wird seit 2009 Solarenergie produziert. Die Gegend gilt dafür eigentlich als ungünstig aufgrund des Dunsts von der Donau, daher war zunächst nur ein Testgelände geplant, das jedoch auf ein Solarkraftwerk mit Bürgerbeteiligung ausgeweitet wurde.

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Reaktorsteuerraum 

Eine Führung wie in eine Zeitkapsel

Im AKW Zwentendorf ist die Zeit wohl spätestens 1986 stehengeblieben. Nach dem Volksentscheid von 1978 hoffte man noch, dass sich die Stimmung im Volk dreht und hielt den Probebetrieb aufrecht. Mit dem Unfall in der Ukraine zerschlug sich das jedoch und man begann damit, das Kraftwerk als Ersatzteilspender zu benutzen.

Seit 2010 bietet die EVN jedoch jeden Freitag Führungen an und man hat vieles wieder rekonstruiert. Und so betreten wir das rund 1000 Räume umfassende Kraftwerk durch seinen Haupteingang und kommen in die Schleuße für Mitarbeiter. Hier sollte die Alltagskleidung gegen die 5 Schichten umfassende Kraftwerkskleidung getauscht werden. Außerdem wurde in der Schleuße die Radioaktivität gemessen, beim Eingang wie beim Ausgang. An dieser Stelle hat man im AKW Forsmark in Schweden überhaupt erst festgestellt, dass es irgendwo zu einem massiven Unfall gekommen sein muss. Die Mitarbeiter waren alle beim Betreten des AKW radioaktiver als beim Ausgang.

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Kleidung eines AKW Mitarbeiters – eine komplizierte Sache

Von hier geht es mit dem Lift in 40 Meter Höhe. Der Blick fällt auf ein Modell eines Brennelements mit Steuer- und Brennstäben. Von hier geht es weiter zum großen Wasserbecken, in dem mit den Brennelementen und einem Kran unter mindestens 3 Metern Wassersäule hantiert werden sollte. Im dahinter liegenden Abklingbecken sollten die Elemente bis zu ihrer Abholung gelagert werden. Wasser ist heute keins mehr drin.

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5 vor 12 – Wie in einer Zeitkapsel

Von hier geht es weiter ins Reaktordruckgefäß. Ein Zugang war ursprünglich nie vorgesehen – er wurde in der dicken Stahlwand geschaffen – auch ein Grund, warum das AKW heute schon aus rein technischen Gründen nicht mehr in Betrieb gehen könnte. Zudem wäre der Reaktortyp heute alles andere als modern. Die Steuerstäbe wären von unten – also gegen die Gravitation – in den Reaktor eingeschoben worden, wie man es bei der nächsten Station gut erkennen kann. Das würde viel zu lange dauern.

Im Turbinenraum wird eine der drei gigantischen Niederdruckturbinen gezeigt, die mit dem im Reaktor erzeugten Dampf bewegt werden sollten.

Letzte Station ist der Steuerstand. Hier fühlt man dann tatsächlich den Zahn der Zeit. Hier sieht man unter anderem den ältesten Computer der Privatwirtschaft in Österreich – auf den ersten Blick ein kleiner Kasten, doch die eigentliche Rechnerleistung wurde im Nebenraum erzeugt. Für mich ein skuriles Detail übrigens – die Uhr steht seit Dreharbeiten immer auf 5 vor 12.

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Blick von oben in den Reaktor

Besuchsinfo

Die kostenfreien Führungen sind geeignet für Besucher, die das 15. Lebensjahr vollendet haben. Da im AKW zahlreiche Stufen zu bewältigen sind, ist eine barrierefreie Führung nicht gewährleistet – man sollte also einigermaßen gut zu Fuss sein.

Anmeldungen für ein Besuchsquartal werden auf www.zwentendorf.com immer an einem bestimmten Tag freigeschaltet – für den Zeitraum Juli bis September 2018 wird das in der 23. Kalenderwoche sein. Die Führungen sind dann allerdings innerhalb kürzester Zeit vergeben (also VIEL GLÜCK).

 

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